Bist du gesund?

Manche Menschen beantworten diese Frage glasklar mit einem Ja oder Nein, Andere hingegen sind unsicher. Du ahnst vielleicht schon, dass Gesundheit gar nicht so leicht zu bestimmen ist, wie wir im ersten Moment denken. Daher möchte ich dir in diesem Beitrag erzählen, was ich unter Gesundheit verstehe und wen ich meine, wenn ich hier im Blog über „gesunde“ oder „kranke“ Menschen schreibe.


„Gesundheit ist ein Zustand vollständigen
körperlichen,
geistigen
und sozialen Wohlbefindens und
nicht nur die Abwesenheit von Krankheit.“

Diese Definition ist eine allgemein anerkannte Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie beschreibt jedoch nur eine von vielen verschiedenen Sichtweisen auf Gesundheit. Wenn du dich intensiver damit auseinandersetzen möchtest, schaue dir zum Beispiel den Eintrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an. Für einen guten Einstieg ins Thema reicht die Definition der WHO aber allemal aus.

Gesundheit oder Krankheit - eine Frage der Normwerte

Erinnerst du dich an deinen letzten Check-up beim Arzt? Wahrscheinlich wurden dir einigen Röhrchen Blut abgenommen und nach wenigen Tagen hat dein Arzt dir mitgeteilt, ob bei dir eine Erkrankung vorliegt. Oder hast du schonmal beim Psychotherapeuten Fragebögen ausgefüllt und hinterher erfahren, wie es um deine psychische Gesundheit steht? Dabei ist dir vielleicht aufgefallen, dass deine Ergebnisse immer in Bezug zu einem bestimmten „Norm- oder Referenzbereich“ beurteilt wurden. 

Norm- oder Referenzwerte spielen in der modernen Diagnostik eine wichtige Rolle, denn sie ermöglichen dem Arzt die Interpretation deiner Befunde. Wichtig zu wissen ist, dass Normwerte einen statistisch ermittelten Rahmen angeben, in dem sich die Werte der meisten gesunden Menschen befinden. Diese Werte werden in großen Studien ermittelt.

Man untersucht zum Beispiel die Schilddrüsenwerte von nicht-krankheitsauffälligen Menschen. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse aller Messungen ausgewertet und zusammengefasst. Daraus ergibt sich ein Bereich, in dem die meisten Werte der gesunden Personen liegen. Die Spanne dieser Werte wird als Normbereich festgelegt und bedeutet für die Diagnostik so viel wie: „Ein Patient, dessen Werte innerhalb des Normbereichs liegen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit gesund.“

Da es von Labor zu Labor Abweichungen geben kann, wird im Befund zusätzlich zu dem gemessenen Wert der jeweilige Normbereich angegeben (oft in Klammern). Das sieht dann zum Beispiel so aus:

fT4: 11,5 pmol/L  (11,5 – 22,7 pmol/L).

Der hier gemessene Wert gibt an, dass in dem untersuchten Blut 11,5 Pikomol des Schilddrüsenhormons Thyroxin (hochgerechnet auf einen Liter Blut) gemessen werden konnten. In Zusammenschau mit anderen Schilddrüsenwerten kann dieser Wert eine Aussage über die Funktion der Schilddrüse ermöglichen.

Das bio-psycho-soziale Modell der Gesundheit

In den Wartezimmern trifft man jedoch auf unzählige Patienten, die trotz unauffälliger Laborwerte unter Beschwerden leiden und sich nicht gesund fühlen. Laborbefunde alleine reichen demzufolge nicht aus, um Gesundheit zu bestimmen. 

Neben den messbaren Veränderungen einer Krankheit gibt es auch zahlreiche subjektive Faktoren, die einen enormen Einfluss auf die Gesundheit haben. Diese Faktoren finden wir in allen Lebensbereichen: Von der Zufriedenheit im Job über soziale Kontakte bis hin zu negativen Glaubenssätzen aus der Kindheit. 

Eine Medizin, die ihren Blick lediglich auf einzelne biologische Fakten richtet, wird der Komplexität unseres Lebens nicht gerecht und viele Krankheitsauslöser bleiben unerkannt. Erfreulicherweise hat sich inzwischen ein neues Modell etabliert, das eine ganzheitliche Alternative zu dem traditionellen Gesundheitsmodell darstellt: das bio-psycho-soziale Modell. Dieses Modell betrachtet Gesundheit aus biologischer, psychologischer und sozialer Perspektive. Die Wechselwirkungen zwischen Körper, Seele und Umwelt werden endlich gezielter in den Blick genommen und ermöglichen uns einen ganzheitlichen Blick auf Gesundheit und Heilung

Die richtige Interpretation dieser Wechselwirkung wird in der Ausbildung von Ärzten und Psychologen bisher jedoch noch immer vernachlässigt. So kommt es immer wieder dazu, dass Patienten nicht richtig behandelt werden oder ihre Symptome als Einbildung abgetan werden. Darunter leiden Patienten mitunter sehr viel stärker als unter den Symptomen ihrer Erkrankung. Doch darüber werde ich an anderer Stelle ausführlicher schreiben. 

Gesundheit ist mehr als Zahlen – das Gesundheits-(Krankheits-)Kontinuum

Körper und Seele können nicht isoliert voneinander betrachtet werden, denn sie beeinflussen sich gegenseitig. Veränderungen in einem Bereich führen zwangsläufig auch zu Veränderungen in anderen Bereichen unseres Wohlbefindens. Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum ist ein hilfreiches Modell, um diese Dynamik der Gesundheit zu verstehen. 

Stelle dir Gesundheit wie eine Leiter vor:
Am unteren Ende der Leiter steht der Tod. Am oberen Ende der Leiter steht das blühende Leben.

Auf dieser Leiter der Gesundheit steigst du im Laufe deines Lebens immer wieder hinauf und hinab. Mal stehst du weiter oben und mal weiter unten. Doch selbst im unteren Bereich der Leiter gibt es noch einige Sprossen, ehe das Ende der Leiter erreicht ist.

Ich spreche übrigens lieber nur von einem Gesundheits-Kontinuum. Denn der Begriff eines Gesundheits-Krankheits-Kontinuum impliziert, dass es Gesundheit und Krankheit gäbe – doch genau das ist nicht der Fall! Es gibt keine klar voneinander abgrenzbaren Zustände der absoluten Gesundheit oder Krankheit. Stattdessen haben wir immer sowohl gesunde als auch kranke Anteile in uns. 

In dieser Erkenntnis liegt für uns ein großes Potential: selbst wenn wir sehr krank sind, gibt es noch gesunde Anteile in uns, die wir fördern können. Genauso haben Menschen, die sich gesund fühlen, noch Anteile, die sie heilen können. Egal, wo wir auf der Leiter stehen, ist die Botschaft also immer gleich: Da geht noch mehr! Ist das nicht ein schöner Gedanke? Solange wir leben, können wir unsere Gesundheit verbessern.

Bist du gesund? - Eine ganzheitliche Perspektive

Ob du gesund oder krank bist, hängt also weniger von einer medizinischen Diagnose ab, sondern vielmehr davon, wie du dich fühlst und wie du deinen Alltag bewältigen kannst. In meinem Verständnis von Gesundheit möchte ich folgende Differenzierung für diesen Blog vornehmen:

Gesundheit bedeutet...

– Du fühlst dich körperlich und psychisch wohl und bist altersentsprechend leistungsfähig.

– Körperliche oder psychische Symptome treten in Folge akuter Erkrankungen, Unfälle oder Belastungen kurzfristig auf und klingen ohne bleibende Einschränkungen wieder ab.

– Deine Lebensgestaltung ist nicht dauerhaft durch körperliche oder psychische Symptome beeinträchtigt.

Krankheit bedeutet...

– Körperliche oder psychische Symptome belasten dich wiederkehrend oder dauerhaft.

– Du kannst deinen Alltag auf Grund körperlicher und/oder psychischer Symptome über einen längeren Zeitraum nicht selbstbestimmt und flexibel gestalten.

– Du bist auf Medikamente oder bestimmte Verhaltensweisen angewiesen, um Symptome zu vermeiden oder zu lindern. 

Exkurs: Gesund durch Worte

Worte haben einen oft unterschätzten Einfluss auf unsere Gesundheit: Sie wirken wie ein Filter unserer Wahrnehmung und lenken unsere Aufmerksamkeit auf das, was zu ihrem Inhalt passt. Wer ständig sagt: „Ich bin krank“, fühlt sich auch so und wird im Alltag immer wieder Beweise dafür finden. Konzentrieren wir uns hingegen auf die gesunden Anteile in uns und sprechen über diese, werden wir auch verstärkt all das wahrnehmen, was unsere Gesundheit unterstützt.

Ein Mensch mit einer gut eingestellten chronischen Erkrankung, der sich im Alltag nicht eingeschränkt fühlt, kann sich durchaus sehr gesund fühlen und sollte sich dann auch ganz selbstbewusst als gesund bezeichnen. Falsch ist daran nichts, denn auch ein objektiv kranker Mensch hat gesunde Anteile in sich. Selbst schwerkranke Menschen können ihre Aufmerksamkeit und Worte auf all das richten, was gut gelingt und Freude macht. Jammern ist in keiner Lebenslage empfehlenswert.

Was ist dein nächster Schritt für mehr Gesundheit?

Überlege einmal, wo du aktuell auf deiner Gesundheitsleiter stehst und was du heute tun kannst, um eine Sprosse weiter in Richtung Gesundheit zu klettern. Sobald du dein Vorhaben einmal mit anderen Personen geteilt hast, steigt übrigens die Wahrscheinlichkeit, dass du dein Ziel auch tatsächlich erreichst. Also schreib’s in die Kommentare: Was tust du heute für deine Gesundheit?

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