Kennst du schon die drei Schritte der achtsamen Selbstwahrnehmung?

Für mich ist achtsame Selbstwahrnehmung die wichtigste Grundlage selbstverantwortlicher Gesundheitsfürsorge. Sie ist der Schlüssel zu einem besseren Wohlbefinden und liefert manchmal sogar die entscheidenden Hinweise zur Diagnose. In diesem Beitrag möchte ich dir die drei Schritte der achtsamen Selbstwahrnehmung erklären und dir ein Beispiel aus meinem Leben vorstellen.


Achtsame Selbstwahrnehmung:
wahrnehmen > verstehen > handeln

Schritt 1 – Wahrnehmen

In diesem Schritt geht es erstmal nur darum, dein aktuelles körperliches und seelisches Wohlbefinden wahrzunehmen. Versuche doch einmal, dir folgende Fragen zu beantworten:

Sind meine Schultern entspannt? Wo spüre ich meine Atmung? Nehme ich den Boden unter meine Füßen wahr? Wann habe ich zuletzt etwas getrunken? Bin ich in einer guten Energie?

Jetzt hast du bereits einen Eindruck davon, wie es dir gerade geht. Diese und ähnliche Fragen kannst du dir im Laufe des Tages immer wieder stellen. Nutze zur Unterstützung zum Beispiel den Timer auf deinem Handy, der dich an den regelmäßigen Check-In mit dir selbst erinnert. 

Je mehr du dich darin übst, dein körperliches und seelisches Wohlbefinden bewusst wahrzunehmen, desto leichter wird es für dich sein, deine Bedürfnisse auch in stressigen Zeiten nicht aus den Augen zu verlieren. Nach einigen Wochen wirst du vielleicht überrascht bemerken, dass ein Teil deiner Aufmerksamkeit unbewusst immer wieder prüft, ob es dir gerade gut geht. Im Laufe der Zeit wirst du auf diese Weise ganz intuitiv anfangen, gut für dich zu sorgen. 

Schritt 2 – Verstehen

Im zweiten Schritt ist es nun wichtig, dass du deine Wahrnehmungen auch richtig interpretierst – das ist gar nicht so leicht, wie es im ersten Moment klingt. Die Herausforderung ist nämlich, dass wir gemeinsam auftretende Ereignisse (z.B. eine Mahlzeit und ein Symptom) gerne in einen kausalen Zusammenhang bringen, obwohl dieser oft gar nicht besteht.

Vorsicht Stolperfalle!

Eine fehlerhafte Interpretation kann uns auf der Suche nach Antworten in eine völlig falsche Richtung führen. Deswegen ist es wichtig, dass wir stets verschiedene Faktoren in Betracht ziehen, die für das Auftreten eines Symptoms mitverantwortlich sein können: das Wetter, Stress, körperliche Aktivität, die Schlafqualität, Wechselwirkungen von Medikamenten usw.

Wir sollten auch berücksichtigen, dass zwischen dem Auftreten eines Auslösers und dem Auftreten eines Symptoms manchmal eine zeitliche Verzögerung bestehen kann. 


Tipp:
Notiere eine Zeit lang deine Empfindungen sowie den Kontext, in dem du sie wahrnehmen konntest. Das kann dir später dabei helfen, Zusammenhänge zu erkennen. Auch Diagramme, in denen du die Intensität mehrere Symptome im zeitlichen Verlauf darstellst, können sehr hilfreich sein. Probiere einfach aus, welche Methode für dich im Alltag gut umsetzbar ist. 

Was kann ich tun, um mein Wohlbefinden zu verbessern?

Um herauszufinden, ob unsere Interpretationen stimmen, müssen wir der Interpretation eine Handlung, in Form einer Verhaltensänderung, folgen lassen. Daher verlangt jede Interpretation folgende Frage: „Was kann ich jetzt an meinem Verhalten verändern, damit es mir besser geht?“ 

Wir sollten uns dabei auf Faktoren konzentrieren, die wir selbständig oder mit ärztlicher/therapeutischer Unterstützung beeinflussen können. 

Stelle dir vor, du nimmst bei dir eine sehr gedrückte Stimmung wahr und interpretierst sie als Reaktion auf das seit Wochen anhaltende graue Regenwetter. Das Wetter zu beeinflussen, dürfte schwierig werden und eine Auswanderung ist nur für die Wenigsten eine realistische Lösung.

Doch was kannst du jetzt ohne großen Aufwand in deinem Alltag verändern?

Vielleicht reicht schon ein täglicher Spaziergang an der frischen Luft, der Einsatz einer Tageslichtlampe, frische Blumen, ein nettes Gespräch oder die Erinnerung an die verdorrten Landschaften im Süden (Dankbarkeit für den Regen), um deine Stimmung zu heben.

Schritt 3 – Handeln

Achtsame Selbstwahrnehmung bleibt nur eine nette Spielerei, solange wir ihr keine Verhaltensänderung folgen lassen. Das erfordert zwar Disziplin, belohnt dich am Ende jedoch mit mehr Wohlbefinden und dem guten Gefühl, dir selbst geholfen zu haben.

Ich empfehle dir, dabei in sehr kleinen Schritten vorzugehen und dein Wohlfühltagebuch dafür um zwei weitere Punkte zu ergänzen: 1. die Verhaltensänderung und 2. die Reaktion darauf. Das mag zunächst unnötig aufwendig erscheinen, zahlt sich aber später aus, denn oft sind die Details entscheidend.

Je präziser du weißt, worauf du achten musst, um dich besser zu fühlen, desto leichter kannst du deinen Alltag gestalten. Nur auf eine bestimmte Getreidesorte zu verzichten, ist zum Beispiel sehr viel leichter, als eine streng glutenfreie Ernährung zu befolgen.

Einen anderen Weg gibt es nicht. Kein Lehrbuch und kein Arzt wird dir sagen können, was für dich richtig ist. Das musst darfst du selbst herausfinden. 

Praxisbeispiel: Veränderter Körpergeruch durch Sondennahrung

Um dir zu zeigen, wie wertvoll die achtsame Selbstwahrnehmung sein kann, möchte ich dir ein Beispiel aus meinem Leben erzählen: 

Meine Dauersondierung schenkt mir einen so großen Zugewinn an Lebensqualität, dass ich mir anfangs überhaupt keine Gedanken über die verordnete Standard-Sondennahrung machte. Das änderte sich jedoch nach kurzer Zeit. Ich bemerkte plötzlich einen ungewöhnlichen Geruch in meinen Handtüchern und in meiner Kleidung (Schritt 1 – Wahrnehmen: veränderter Körpergeruch). „Da passt etwas nicht,“ signalisierte mir mein Körper leise.

Mit einem Blick auf die Inhaltsstoffe der Sondennahrung wurde mir klar, was der Grund sein könnte, denn die Zutaten ließen mich unwillkürlich an „Süßkram“ denken. Mit der natürlichen Ernährung, die mein Körper und meine Seele seit Jahren kennen, hatte das wenig zu tun (Schritt 2 – Verstehen: Hoch verarbeitete Sondennahrung verändert den Körpergeruch).

Ich bat im Stoffwechselzentrum darum, eine Sondennahrung auf Basis natürlicher Zutaten ausprobieren zu dürfen (Schritt 3 – Handeln: Testen natürlicher Sondennahrung).

Anfangs stieß ich jedoch auf Skepsis: Von einer Veränderung des Körpergeruchs durch Sondennahrung habe man dort noch nie gehört. Schade, denn eigentlich sollte uns doch völlig klar sein, dass sich der Körpergeruch durch bestimmte Ernährungsgewohnheiten verändern kann. Ist dir schonmal aufgefallen, dass FastFood-Liebhaber ganz anders riechen als Menschen, die sich überwiegend mit natürlichen Lebensmitteln ernähren? 

Ich habe mich jedoch nicht verunsichern lassen und für mein Wohlbefinden gekämpft. Inzwischen habe ich seit mehr als einem Jahr eine natürliche Sondennahrung. Das Ergebnis ist eindeutig: Ich fühle mich sehr viel wohler und rieche auch nicht mehr wie ein Chemielabor. (Erneut Schritt 1 – Wahrnehmen: gesunder Körpergeruch).

Meine Interpretation stimmte also und ich durfte wieder einmal die Erfahrung machen, dass ich mich inzwischen sehr gut auf meine Wahrnehmung verlassen kann. 


Genial: Achtsame Selbstwahrnehmung ermöglicht dir,
die Hinweise deines Körpers frühzeitig wahrzunehmen und
dein Wohlbefinden durch gezielte Verhaltensänderungen kontinuierlich zu verbessern.

Achtsame Selbstwahrnehmung oder somatoforme Störung?

In der Schulmedizin wird eine präzise Schilderung körperlicher Empfindungen und Zusammenhänge oft fehlinterpretiert. Viele Ärzte sehen darin eine übermäßige Fixierung auf körperliche Symptome und äußern schnell den Verdacht einer somatoformen Störung. Vielleicht liest du in deinem Arztbericht auch den Begriff Somatisierungsstörung, funktionelle Störung oder psychosomatische Störung. 

Das ist insofern problematisch, als dass körperlich behandelbare Störungen mit dieser Verdachtsdiagnose eher übersehen werden und Patienten unnötig lange unter den Symptomen leiden. Vor allem für Patienten mit seltenen Erkrankungen kann diese ärztliche Fehleinschätzung zu einer großen Hürde auf dem Weg zur korrekten Diagnose werden. Lasse dich davon nicht verunsichern und bleibe achtsam. Dein Körper wird dir dabei helfen, gesünder zu werden, wenn du ihm liebevoll zuhörst.

Achtsamkeit: Wahrnehmen, ohne zu bewerten

Man könnte meinen, die achtsame Selbstwahrnehmung würde körperliche Symptome verstärken, doch genau das Gegenteil ist der Fall. Achtsamkeit ist eine nicht-wertende Präsenz im gegenwärtigen Augenblick. Das bedeutet, wir nehmen eine innere Distanz zu unseren Wahrnehmungen ein und verstehen uns als Beobachter unserer körperlichen Empfindungen.

Auf diese Weise habe ich in einer Zeit sehr starker Schmerzen eine Übung entwickelt, die ich den „Raum hinter dem Schmerz“ genannt habe. Die Vorstellung, mich von meinem Schmerz distanzieren zu können, hat mir geholfen, mich bewusst gegen eine negative Bewertung körperlicher Empfindungen zu entscheiden und auf diese Weise das Leiden zu reduzieren.


Zum Ausprobieren: Bewege deinen Daumen oder einen Faszienball mit Druck über deinen Brustmuskel, die Außenseite deines Oberarms oder deines Oberschenkels.

Falls du nicht regelmäßig Faszientraining machst, spürst du diesen Druck wahrscheinlich deutlich. Darunter leiden wirst du aber vermutlich nicht, da du Kontrolle über die Intensität und Dauer des Reizes hast. Du weißt, dass die Empfindung nachlässt, sobald du den Druck verringerst.

Wie würdest du dieselbe körperliche Empfindung beurteilen, wenn du den Auslöser nicht kennen würdest? Wahrscheinlich würdest du viel eher von einem „Schmerz“ sprechen und darunter leiden.

Es klingt vielleicht hart, aber ich bin überzeugt davon, dass Leiden eine Entscheidung ist. Genauso wie wir uns dafür entscheiden können, eine Empfindung als Schmerz zu interpretieren, können wir uns auch für eine neutrale Haltung entscheiden. Achtsamkeit ermöglicht uns, diesen inneren Abstand zu unseren Empfindungen einzunehmen und unseren Leidensdruck auf diese Weise zu reduzieren.

Vielleicht stellst du aber auch fest, dass du dich von körperlichen Empfingen überwältigen lässt und keinen inneren Abstand einnehmen kannst. Du suchst möglicherweise sogar regelrecht nach körperlichem Schmerz, weil Leiden eine wichtige emotionale Funktion in deinem Leben erfüllt.

Falls das auf dich zutrifft, verurteile dich bitte nicht dafür. Auch dieses Verhalten hat einen unbewussten, aber nachvollziehbaren Grund. Deine selbstverantwortliche Gesundheitsfürsorge könnte nun darin bestehen, dir therapeutische Unterstützung zu suchen. Im Laufe einer Therapie kannst du erkennen, welche Funktion das Leiden in deinem Leben erfüllt. Sobald dir das bewusst ist, kannst du deine Bedürfnisse selbstbewusst kommunizieren und sie gezielt erfüllen, ohne weiterhin körperliche Symptome als „Übersetzer“ zu benötigen.

Sicherheit kommt mit dem Training

Achtsame Selbstwahrnehmung kann ein wertvolles Tool sein, wenn es uns gelingt, unseren Empfindungen gegenüber eine neugierige und beobachtende Haltung einzunehmen. Sie hilft uns dabei, Zusammenhänge und Auslöser unserer Symptome besser zu verstehen und unsere Gesundheit selbstverantwortlich zu gestalten.

Mir geht es heute viel besser als noch vor zehn Jahren, weil ich die achtsame Selbstwahrnehmung so intensiv geübt habe. Anfangs waren meine Wahrnehmungen und Interpretationen in etwa so sicher, wie die Sätze eines Sprachschülers im ersten Lehrjahr. Aber ich habe trotz vieler Fehler weitergemacht.

Inzwischen bin ich auf Muttersprachler-Niveau angekommen. Meine Wahrnehmung ist sehr differenziert, ich interpretiere die Empfindungen überwiegend richtig und weiß meistens auch sehr genau, welche Veränderungen notwendig sind, um mein Wohlbefinden zu verbessern. Ich bin zur Expertin für meine Gesundheit geworden und kann mir die meisten Fragen besser beantworten als ein Arzt es jemals könnte. 

Ich achte jeden Tag darauf, meinem Körper und meiner Seele das zu geben, was sie brauchen. Beides unter einen Hut zu bekommen ist jedoch nicht immer leicht und manchmal sogar unmöglich…

So gut wie möglich - die besten Kompromisse finden

Manchmal komme ich zu unbequemen Erkenntnissen: So zum Beispiel als ich feststellen musste, dass Magerquark für meinen Körper fast wie ein Heilmittel wirkt. Ich esse seitdem brav jeden Tag eine Portion dieser weißen Pampe und das, obwohl Milchprodukte in jeder Hinsicht meinem Streben nach Tierwohl und Umweltschutz widersprechen. Für meine Seele wäre es eindeutig besser, keinen Magerquark zu essen – das habe ich auch schon oft versucht. Bei jedem Versuch ging es mir körperlich deutlich schlechter. Ich musste also abwägen, welches Bedürfnis – das Körperliche oder Seelische – wichtiger ist. In diesem Fall ist es ganz klar das Körperliche. Ich versuche weiterhin herauszufinden, warum mein Körper so positiv auf Magerquark reagiert, doch bis dahin löffele ich weiter. Jeden Tag. 

Achtsame Selbstwahrnehmung führt nur dann zum Ziel, wenn wir bereit sind, unsere Komfortzone zu verlassen und Kompromisse einzugehen. Der Weg zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden ist ein ständiger Balanceakt zwischen psychischen und körperlichen Bedürfnissen sowie unseren Vorstellungen davon, wie unser Leben sein sollte. Es geht nicht darum, etwas perfekt zu machen, sondern darum, es so gut wie möglich zu tun. 


„Es geht nicht darum, es perfekt zu machen,
sondern so gut wie möglich.“

Ich habe das große Glück, einen Arzt gefunden zu haben, der meine Beobachtungen wertschätzt und sogar aktiv einfordert. Symptome, die wir zunächst nicht erklären können, nimmt er als spannende Herausforderungen mit. Er recherchiert, liest Studien und tauscht sich mit Kollegen aus – bis er irgendwann eine Antwort für mich hat, die mich einen großen Schritt weiterbringt.

Gesund durch achtsame Selbstwahrnehmung

Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch – ob chronisch krank oder nicht – achtsame Selbstwahrnehmung beherrschen. Sie verrät uns so viel über das, was uns gut tut und was nicht. Viele Krankheiten würden gar nicht erst entstehen, wenn wir achtsam und liebevoll mit uns umgehen würden.

Achtsame Selbstwahrnehmung ist für mich kein Werkzeug, sondern vor allem eine Lebenseinstellung. Mit der Unterstützung eines engagierten Arztes kann daraus ein Dialog entstehen, der das Potenzial hat, uns auf unserem ganz persönlichen Weg zu stärken und uns einem gesunden Leben Schritt für Schritt näherzubringen.

Welche Erfahrungen hast du mit achtsamer Selbstwahrnehmung gemacht? Schreib es gerne in die Kommentare. Ich freue mich auf den Austausch mit dir. 

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