"Wo ist denn dein Bett?"

Diese Frage habe ich in den vergangenen Jahren unzählige Male von meinem Besuch gehört. Meine Antwort auf diese Frage wurde stets mit ungläubigem Staunen erwidert. 

Ich habe kein Bett – ich schlafe auf dem Boden.

Das ist keine Phase, in der ich das Bodenschlafen mal ausprobiere, sondern bereits seit mehr als fünf Jahren eine Selbstverständlichkeit für mich. In diesem Beitrag möchte ich meine Erfahrungen mit dir teilen. Du erfährst, welche gesundheitlichen Vorteile die Bewegung am Boden bietet und wie du deinen Schlaf nutzen kannst, um fitter zu werden.  

Auf dem Boden schlafen - wie alles begann

Seit Dezember 2018 habe ich eine kunterbunte Mischung aus Schlafstätten ausprobiert. Was alle gemeinsam haben: kein Bett. Der ursprüngliche Auslöser für meine Experimente war jedoch ausnahmsweise mal nicht meine Gesundheit, sondern ein altes Bettgestell. Einige Nächte lang ertrug ich noch voller Mitgefühl das nachtragende Knacken der Seniorin – bis meine Empathie während einer Putzaktion schlagartig verpuffte. Kurzerhand schraubte ich das Bett auseinander und schlief in dieser Nacht mit meiner Matratze auf dem Boden.

Die Nähe zum Boden gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und Erdung, das ich so bisher nicht erlebt hatte. Doch noch etwas anderes weckte meine Neugierde: der minimalistische Aspekt des Schlafens ohne Bettgestell. Schon damals war ich von dem Konzept des Minimalismus begeistert, doch meine Schlafgewohnheiten hatte ich aus dieser Perspektive noch nie hinterfragt. Das änderte sich in jener Nacht und mir wurde klar, dass ich die deutsche Schlafnorm hinterfragen wollte.

Warum schlafen wir eigentlich in Betten? Ist die Art und Weise unseres Schlafens gesund? Warum schlafen so viele Menschen in Ländern wie Japan, Korea oder Indien auch heute noch auf dem Boden? 

Da war es wieder – das Feuer der Begeisterung, das die Forscherin in mir weckt und erst zur Ruhe kommt, wenn alle Fragen zufriedenstellend beantwortet sind.

Recherche - Warum auf dem Boden schlafen?

Wie immer, wenn ich einen Lebensbereich aus einer neuen Perspektive betrachten wollte, begann ich mit einer ausführlichen Recherche. Dabei zog ich sowohl wissenschaftliche Studien als auch Erfahrungsberichte heran. Das Schlafen auf dem Boden wird oft als sehr natürlich beschrieben und soll die Gesundheit besser unterstützen, als das Schlafen in einem weichen und erhöhten Bett.

Während meiner Recherche stieß ich immer wieder auf die Arbeiten der Biomechanikerin Katy Bowman sowie des Sportwissenschaftlers und Chiropraktikers Dr. Andreo Spina. Ihre Arbeiten waren die Ersten, die mein Verständnis von Bewegung grundlegend veränderten. Ich habe zum ersten Mal wirklich verstanden, was natürliche Bewegung bedeutet. 

Vieles, was ich über die Jahre meiner Ausbildungen gelernt und während meiner Tätigkeit in präventiven und rehabilitativen Trainingszentren unterrichtet hatte, begann ich nun differenzierter und durchaus kritischer zu sehen.

Gesunde Bewegung ist nährende Bewegung

Während meiner Tätigkeit als Trainerin habe ich viele Menschen mit starken Bewegungseinschränkungen gesehen, die durch mehr Bewegung im Alltag hätten vermieden werden können. Das hat mich immer wieder tief erschüttert. 

Es ist so viel Wahres an dem Sprichwort „Wer rastet, der rostet.“ Wir brauchen Bewegung, um gesund zu bleiben. Dabei kommt es auf die richtige Art der Bewegung an: Auf dem Boden sitzen, Balancieren, Hängen, Barfußlaufen, in der tiefen Hocke sitzen – das sind Bewegungen, die unseren Bewegungsapparat auf natürliche Weise fordern und fördern. Es gibt einen Begriff dafür: nährende Bewegung.

Diesen Begriff (orig. im Englischen „nutritious movement“) habe ich zum ersten Mal bei Katy Bowman gelesen. Er drückt das aus, was mich im Sinne selbstverantwortlicher Gesundheitsfürsorge am meisten begeistert: Achtsamkeit im Umgang mit uns selbst. Es geht nicht um das, WAS wir tun, sondern vielmehr darum, WIE wir es tun.

Nährende Bewegung funktioniert für jeden Körper

Bewegung ist für unsere Gesundheit enorm wichtig und gleichzeitig für chronisch kranke Menschen oft sehr herausfordernd. Ich zum Beispiel habe noch vor wenigen Jahren viermal pro Woche in der Boulderhalle trainiert – jetzt ist meine körperliche Leistungsfähigkeit an einem Punkt, an dem ich mir schon im Stehen Bänderrisse und andere Überlastungsverletzungen zuziehe. Bewegung ist schwieriger geworden, aber nicht weniger wichtig!

Für Menschen wie mich ist achtsames Training ganz besonders wertvoll. Wenn wir uns die Frage stellen, welche Art von Training für Menschen mit körperlichen Erkrankungen geeignet ist, sind wir ganz schnell bei nährender Bewegung: achtsam ausgeführte Bewegungen, die die Gesundheit der Bänder, Gelenke, Sehnen und Muskeln bestmöglich unterstützen, ohne zu überfordern.

Das sieht für mich zum Beispiel so aus: Ich schlafe auf dem Boden und führe mit viel Achtsamkeit eine morgendliche Bewegungsroutine durch. Im Laufe des Tages sitze ich, so oft ich kann, in ständig wechselnden Sitzpositionen auf dem Boden und lasse den Tag mit sanften Dehnungen ausklingen. Diese simplen Veränderungen, wie das Sitzen oder Schlafen auf dem Boden, helfen mir dabei, meine Beweglichkeit und Kraft trotz gesundheitlicher Einschränkungen bestmöglich zu erhalten.

Völlig am Boden - Bewegtes Sitzen

Schauen wir uns den Alltag des modernen Menschen an, sehen wir wenig Bewegung – ganz zu schweigen von Bewegung auf dem Boden. Vieles findet im Sitzen auf erhöhten, gepolsterten Sitzgelegenheiten statt und körperliche Anstrengung ist in unserem Alltag kaum noch notwendig. 

Langes Sitzen muss nicht unbedingt krank machen, wenn wir es richtig gestalten – und dabei denke ich nicht an ergonomische Bürostühle, sondern an das Gegenteil: Keine Stühle. Das Sitzen auf Stühlen beansprucht unsere Muskulatur weder beim Hinsetzen noch beim Aufstehen in nennenswerter Weise und wir verharren oft über Stunden fast bewegungslos in zwei rechten Winkeln. Ganz anders sieht es aus, wenn wir auf dem Boden sitzen: Wir ändern viel häufiger unsere Sitzposition und auch das Hinsetzen und Aufstehen vom Boden stellt höhere Anforderungen an unseren Bewegungsapparat. 

Ein Beispiel, das mich besonders beeindruckte, war das YouTube-Video eines jungen Paares. Sie zeigten im Zeitraffer ein Abendessen am Tisch und ein Abendessen auf dem Boden. Dabei zählten sie ihre Positionswechsel: Am Tisch wechselten beide ihre Sitzposition nicht ein einziges Mal, auf dem Boden zwischen 17 und 22 Mal!

Druckbelastung für einen gesunden Körper

Ein besonderer Vorteil des Bodenschlafens ist der erhöhte Druck, den eine härtere Schlafunterlage auf den Körper ausübt. Egal ob Haut, Bindegewebe oder Knochen – viele Strukturen in unserem Körper benötigen wechselnde Druckbelastung, um bis ins hohe Alter gesund zu bleiben.

Leider ist Druckbelastung in unserem Alltag ziemlich selten geworden. Wir haben es gerne weich und bequem und vermeiden damit die wichtige Druckbelastung. Sitzen oder Liegen wir hingegen auf weniger weichen Polstern oder sogar ganz ohne Polster, führt der höhere Druck zu häufigen Bewegungsimpulsen, durch die wir die druckaufnehmenden Körperstellen entlasten und eine andere Haltung einnehmen. Diese häufigen Positionswechsel verbessern die Beweglichkeit und Durchblutung und beugen so auch schmerzhaften Muskelverspannungen vor.

Beim Schlafen auf dem Boden gibt es sogar noch einen weiteren Vorteil: sobald es an einer Stelle umbequem wird, ändern wir die Schlafposition und wachen dabei – meistens unbewusst – kurz auf. Manche Theorien gehen davon aus, dass dieses gelegentliche Aufwachen dem natürlichen Schlafrhythmus des Menschen viel mehr entspricht als das Durchschlafen „wie ein Stein.“

Auch ich haben diesen überraschenden Effekt erlebt. Früher habe ich tief und fest durchgeschlafen und kam am Morgen recht steif und oft noch ziemlich müde aus dem Bett. Jetzt hingegen fühle ich mich morgens beweglich und wach, obwohl – oder gerade weil – ich in der Nacht mehrfach kurz aufgewacht bin.

Hygiene beim Bodenschlafen

Nicht zu unterschätzen ist auch das tägliche Herrichten unserer Schlafstätte. Bettschläfer zupfen für gewöhnlich morgens mit ein paar Handgriffen das Bett zurecht und strengen sich nur hin und wieder beim Wechseln der Bettwäsche etwas mehr an. 

Menschen, die auf dem Boden schlafen, räumen ihren Schlafplatz hingegen jeden Morgen weg. Das schafft zusätzlich nutzbaren Wohnraum, ist aber vor allem erforderlich, um Schimmelbildung zu vermeiden. Da nachts kein Lattenrost für eine Belüftung sorgt, sollte die Schlafunterlage täglich zum Lüften aufgehängt oder aufgestellt werden. Mache dir die dafür notwendigen Bewegungen einmal kurz bewusst – es sind Einige! 


Wichtig
: Halte den Boden sauber und lüfte die Schlafunterlage täglich,
so bleibt das Schlafen auf dem Boden auch langfristig gesund.

Bewegungshäppchen im Alltag

Eine niedrige und mobile Schlafstätte ermöglicht uns also mindestens zweimal täglich Bewegungsabläufe, bei denen wir unsere Muskulatur kräftigen und die Beweglichkeit verbessern – ganz nebenbei und mit natürlichen Bewegungsabläufen.

Wichtig ist, auch bei solchen Aktivitäten auf die Signale des Körpers zu hören und bei Bedarf Pausen zu machen oder um Unterstützung zu bitten. So können wir möglichst viele Bewegungshäppchen in unserem Alltag erhalten. 

Ich bemerke die Vorteile der achtsamen Bewegung im Alltag und dem Schlafen auf dem Boden zum Beispiel daran, dass mein permanentes Hüftknacken (ein Überbleibsel meiner ausgeprägten Hüftdysplasie in der Kindheit) verschwunden ist. Auch meine Lendenwirbelsäule ist in der Rotation beweglicher geworden. Das Schlafen auf dem Boden tut mir gut und ich glaube nicht, dass ich jemals wieder freiwillig zu einem normalen Bett wechseln werde.

Es mag manchmal ganz angenehm sein, in einem weichen Bett zu schlafen. Doch – wie Katy Bowman in einem Interview sagte – ist es mit dem Bett, wie mit dem Eis zum Nachtisch: 


Hin und wieder ist es ganz lecker. Wenn man es jedoch regelmäßig macht, spürt man die ungesunden Auswirkungen auf den Körper und fühlt sich „crappy.“ 

Die geeignete Schlafunterlage finden

Auch mit einem Bodenbett kannst du dich „crappy“ fühlen, wenn du nicht die richtige Schlafunterlage verwendest. Was für dich „richtig“ oder „falsch“ ist, lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten. Jede Variante hat ihre Vor- und Nachteile. Manche Bodenschläfer wählen nur eine Yogamatte mit einer Wolldecke und kommen damit hervorragend zurecht, Andere kuscheln sich lieber in einen traditionellen Futon. Daher möchte ich dir an dieser Stelle Experimentierfreude ans Herz legen. Die für dich ideale Schlafunterlage kannst du nur durch Ausprobieren finden.

Von meinen verschiedenen Versuchen begleitete mich zum Beispiel eine Kapokmatte recht lange. Das gefiel mir anfangs gut, war jedoch nicht nachhaltig, da die Matte bereits nach einem Jahr stellenweise durchgelegen war. Kapokfasern brechen bei punktueller Belastung und nach einer Weile tritt der Staub der gebrochenen Fasern aus der Matte aus – die Matte wird uneben.

Ich habe jedoch noch eine ganze Weile auf dieser Matte geschlafen, weil ich mich mit der Entscheidung für eine Alternative schwergetan habe. Nachhaltig, vegan und gesund sollte es sein. Letztendlich war ein Kompromiss nötig, mit dem ich mich nun jedoch sehr gut fühle. Wie ich mein Bodenbett gestaltet habe, erzähle ich dir gerne in einem der kommenden Beiträge. Bis dahin lies gerne schonmal den zweiten Beitrag zum Thema. Dort erfährst du, wie du mit der richtigen Schlafposition deinen Stress einfach wegschlafen kannst.

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